2. Juni 2015
Seit mehr als 10 Jahren zieht eine Karawane aus Politikern und ihren Lobbyisten aus der Wirtschaft durch Niedersachsen. Ihr Postulat ist die sogenannte Küstenautobahn (ehemals A 22, jetzt A 20) als Verlängerung der aus Schleswig-Holstein kommenden A 20: Nach der Elbquerung bei Drochtersen soll sie, Nordniedersachsen durchschneidend, bis nach Westerstede im Ammerland führen.
Ohne diese Autobahn, so die Befürworter gebetsmühlenartig, gibt es in diesem Teil Niedersachsens keinen Fortschritt. Die Wirtschaft wird weiter darniederliegen, blühende Landschaften werden ausbleiben und die Bevölkerung wird mangels Arbeitsplätzen in die umliegenden Großzentren Hamburg, Bremen, Oldenburg abwandern. Zurück bleiben Ödnis und Tristesse.
Um ihre Forderungen zu untermalen bemühen sie das Gespenst des Arbeitsplatzverlusts gepaart mit einem Verkehrskollaps bei der Hinterlandanbindung der Seehäfen Hamburg, Bremen/Bremerhaven und Wilhelmshaven.
Gegen diese Autobahn hat sich zeitgleich der Widerstand formiert. Mit viel Sachverstand und etlichen fantasievollen Aktionen und Veranstaltungen wurde und wird gegen das Projekt mobil gemacht. Das ist nicht immer leicht, denn die Gegenseite verfügt über Macht und viel Geld. Außerdem kann sie auf die Presse zählen, die mehr als weniger zu einem Organ der Befürworter mutiert ist.
Zuletzt hat der Koordinationskreis der Initiativen und Verbände gegen die A 20 ein Informationsblatt herausgegeben, das die Behauptungen der Befürworter auf den Prüfstand stellt. Es ist ein Fakten-Check zur A 20-Propaganda von Lobbyisten und ihren Politikern.*
Mittlerweile können ganze Kladden mit den Argumenten gegen dieses Autobahn-Monstrum gefüllt werden; trotzdem haben sich die Autoren auf eine DIN-A-5 Doppelseite beschränkt, wohl wissend, dass viel Text eher dazu führt weniger zu lesen.
Im Rahmen des Blogs kann das umgangen werden, da ja immer die Möglichkeit des Wegklickens gegeben ist, um zu anderer Zeit diesen wieder aufzurufen.
Eine weitere Möglichkeit besteht in der Fortschreibung des Textes. Die Behauptungen der Befürworter sind statisch, das heißt, da kommt nicht mehr viel Neues. Die Zeit nach deren ersten Auftritten hat das gezeigt. Neue Argumente haben die nicht. Es ist ihnen lediglich gelungen, die ständig wiederholten Platitüden in die Köpfe der Bevölkerung einzupflanzen. Dank der Presse. Recherche? Was ist das?
Behauptungen und Fakten
Behauptung: Die A 20 sei aus verkehrstechnischer Sicht notwendig.
Fakten:
Der Nutzen der A 20 wird überschätzt. Es gibt keine Engpässe. Nordniedersachsen ist verkehrstechnisch optimal erschlossen. Die bestehenden Straßen, Eisenbahn- und Wasserwege sind Alternativen, die bei Bedarf umweltfreundlich und kostengünstig ausgebaut werden können. An vielen Stellen sind ein dreispuriger Ausbau und Ortsumgehungen möglich.
Behauptung: Die A 20 würde für die Anbindung der Seehäfen an das Hinterland benötigt.
Fakten:
Das Hinterland der Nordseehäfen liegt im Süden und im Süd-Osten. Die Ost-West-Trasse der A 20 verläuft für diesen Zweck in falscher Richtung. Das Institut für Seeverkehr und Logistik (ISL) in Bremen hat bestätigt, dass mehr als 70 Prozent der Güter aus den Seehäfen in Nord-Süd-Richtung und umgekehrt transportiert werden müssen. Nur ein geringer Teil geht in die Ost-West-Richtung. In die osteuropäischen Länder und nach Skandinavien besteht über den Seeweg die beste Verbindung. Zwischen den Häfen Hamburg und Bremerhaven verkehrt eine für den Güterverkehr ausgebaute Eisenbahnstrecke.
Behauptung: Die A 20 sei wichtig für Europa.
Fakten:
Für die Transitströme in West-Ost-Richtung gibt es mit den Autobahnen 1 und 2 ausreichend Straßenverbindungen. Deshalb ist die A 20 nicht Bestandteil des Europäischen Netzes. Lediglich die ARA-Häfen (Amsterdam-Rotterdam-Antwerpen) würden von der A 20 profitieren. Das wiederum würde Arbeitsplätze in den norddeutschen Seehäfen gefährden.
Behauptung: Die regionale Wirtschaft würde von dem geplanten Autobahnbau profitieren und neue Arbeitsplätze schaffen.
Fakten:
Seit 30 Jahren zeigen Erfahrungen an anderen Autobahnen (z.B. A 20 in Mecklenburg-Vorpommern) sowie wissenschaftliche Studien, dass diese Effekte zumeist ausgeblieben sind. Firmen, die sich neu an einer Autobahn ansiedeln, gehen woanders weg. Verbunden mit neuer Technisierung werden eher bestehende Arbeitsplätze abgebaut. Die Arbeitslosenstatistik für Nordniedersachsen zeigt, dass bis auf den Bezirk Wesermarsch alle Arbeitslosenzahlen UNTER dem Landesdurchschnitt und sogar UNTER dem Bundesdurchschnitt liegen. Das entlarvt die Schwarzmalerei der Befürworter dieser Autobahn.
Behauptung: Der Tourismus bräuchte die A 20.
Fakten:
Die Urlauber in unserer Region suchen Ruhe und Erholung in der Natur. Der Erhalt von Umwelt, Natur und Kultur liegt im existentiellen Interesse des Tourismus. Der ländliche Raum zwischen Ems und Elbe mit seiner kleinstrukturierten Landwirtschaft und zusammenhängenden unzerschnittenen Landschaftsräumen ist prädestiniert für den sich stetig aufwärts entwickelnden nachhaltigen Tourismus. Die A 20 würde die Landschaft als unüberwindbare Mauer zerschneiden. Ein mehrere Kilometer breiter Abgas- und Lärmkorridor würde diese Entwicklung des „sanften Tourismus“ zunichte machen. Die A 20 würde die Touristenströme aus der Region umlenken. Statt an die Nordsee werden die Gäste dann weiterfahren nach Schleswig-Holstein, nach Dänemark, nach Mecklenburg-Vorpommern oder in die unberührten Landschaften Polens.
Behauptung: Die A 20 in Niedersachsen würde „nur“ 1,35 Milliarden Euro kosten.
Fakten:
Die A 20 in Niedersachsen wird mehr als 4 Milliarden Euro kosten – laut Berechnungsgrundlage des CDU-Wirtschaftsrates.
Als die A 22 von Drochtersen/Elbe bis Westerstede im Ammerland erstmalig einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt wurde, sollte sie 880 Millionen Euro kosten. Kurze Zeit später wurden schon 1,1 Milliarden an Kosten genannt und heute (2015) werden die Kosten mit 1,35 Milliarden Euro beziffert.
Auch diese letztgenannte Zahl ist falsch.
Die lautesten Protagonisten unter den Befürwortern, Enak Ferlemann und Astrid Vockert, beide in der CDU, kennen die tatsächlichen Kosten. Sie nennen diese jedoch nicht, da sonst das von 2003 (NKV = 1,9**) bis 2010 (NKV = 4.5**) hochgejubelte Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV) wie ein Kartenhaus zusammenbrechen würde.
Der Wirtschaftsrat der CDU hatte die Schmid Traffic Service GmbH beauftragt, die tatsächlichen Kosten eines Kilometers Autobahn zu ermitteln. Die im Jahr 2007 vorgelegte und vom Wirtschaftsrat veröffentlichte Studie des Gutachterbüros kommt auf einen Betrag von 26,8 Millionen Euro pro Kilometer Autobahn. Der Wert bezieht sich auf Kosten, die durch eine Erhebung aus vierzehn Neubauprojekten im Zeitraum zwischen 1975 und 1995 ermittelt wurden. Umgerechnet auf 120 Kilometer von Drochtersen bis Westerstede sind das 3,216 Milliarden Euro. In diesen Betrag sind die Preiserhöhungen in den Jahren von 1995 bis 2015 nicht enthalten. Diese eingerechnet ergibt einen Betrag über 4 Milliarden Euro.
Behauptung: Die Verwirklichung der A 20 sei jetzt in greifbare Nähe gerückt.
Fakten:
Für die meisten der in sieben Abschnitte eingeteilten Baumaßnahmen müssen erst die notwendigen und langjährigen Genehmigungsverfahren eingereicht werden. Einwendungen der Bürger und Institutionen müssen abgearbeitet werden. Nach den jeweiligen Planfeststellungsverfahren werden mögliche Klagen von Verbänden und Betroffenenen einen weiteren Aufschub erzwingen.
Bislang steht die A 20 erst im „weiteren Bedarf“ des Bundesverkehrswegeplans. Solide Finanzierungsmöglichkeiten sind nicht gegeben.
Behauptung: Naturzerstörungen durch den Autobahnbau würden durch Ausgleichsmaßnahmen kompensiert.
Fakten:
Einmal zerstörte Natur- und Landschaftsflächen sind unwiederbringlich verloren und können nicht ersetzt werden.
Im Rahmen der Bundesverkehrswegeplanung wurde für die damalige A 22 (jetzt A 20) ein sehr hohes Umweltrisiko festgestellt. Das war nicht ohne Grund, denn der Bau dieser Autobahn wird zu einem fortschreitenden Flächenverbrauch von Natur und Landschaft führen. Er steht damit im Widerspruch zu den zentralen Zielen eines nachhaltigen Natur-, Klima-, Arten-, Gewässer- und Bodenschutzes. Alle Bundesregierungen haben diese Ziele auf ihre Fahnen geschrieben.
Im gesamten Raum drohen wertvolle Flora und Fauna für immer verloren zu gehen. Ein großer Teil dieser Gebiete ist nach der EU-Richtlinie Flora-Fauna-Habitat geschützt oder es sind EU-Vogelschutzgebiete, die in Mitleidenschaft gezogen werden.
*Der Text des Informationsblattes wurde redaktionell aufbereitet und ergänzt
** NKV 1,9 bedeutet, dass die Investition von 1 Euro einen Ertrag von 1,9 Euro bringt. Dieser Wert ist als Begründung für den Bau einer Autobahn zu niedrig. Ein NKV von 4,5 sieht da schon besser aus. Eine Begründung für diese Steigerung wurde nie gegeben!