Erinnern an Corona-Opfer – Aus Wut Kerzenberge für die Politik: „Zündet sie doch selbst an!“*
Kerzen-Protest: Seit Samstag werden vor Staatskanzleien (links: Potsdam), Rathäuser und Landtage (rechts: Düsseldorf) Tee- und Grablichter gelegt. (Quelle: Twitter, Risikogruppen/Candma4)
Zum Gedenktag für die Opfer des Coronavirus hatten die Ministerpräsidenten an die Bürger appelliert, Kerzen anzuzünden. Aus Protest werden ihnen nun Kerzen massenhaft vor die Füße geworfen.
Haufenweise Kerzen als Anklagen wegen Ignoranz der Politik in der Corona-Pandemie. Bundesweit werden seit Samstag Tee- und Grablichter vor Regierungs- und Verwaltungsgebäuden abgelegt. Die beabsichtigte Botschaft: Die Politik soll nicht Ratschläge zum Trauern geben, sondern Politik machen, die nicht zu vielen Opfern führt. Der Initiator der Protestaktion, Marcus Ewald, ist Krisenberater und Funktionär in einem Wirtschaftsgremium der CDU. „Wut und Trauer haben jetzt ein Symbol“, sagt er.
Den Auslöser haben die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten am Freitag geliefert. Sie hatten gemeinsam aufgefordert, die Bürger sollten anlässlich der Gedenkfeier für die Opfer der Coronakrise zum Gedenken Kerzen ins Fenster stellen.
Nun bekommen Staatskanzleien, Landtage, Ratshäuser und Verwaltungen Kerzenstapel vor die Eingänge gelegt und per Paket zugestellt mit der Botschaft: „Zündet Eure Kerzen selbst an!“ Die Aktion läuft unter dem Motto „#Einkerzen“, der Begriff trendete am Samstag auf Twitter. Der Idee schloss sich das Bündnis GrueneZonen.de von 16 Initiativen an, die für NoCvid und sichere Bildung auftreten
Tweet löste die Aktion aus
Begonnen hatte es mit einem Tweet von Marcus Ewald, Geschäftsführender Gesellschafter des auf Krisenkommunikation und strategische PR spezialisierten Unternehmens Ewald & Rössing, außerdem Bundesvorsitzender des Jungen Wirtschaftsrates der CDU. Er hatte am Freitagabend geschrieben: „Wir bringen euch die Kerzen. (…) Bis Sonntag an jedem Ort 79.628.“ 79.628 Corona-Tote waren bis zum Freitag in Deutschland gezählt worden. (Stand am Sonntag: 79.914) Damit traf er einen Nerv.
Ewald zu t-online: Die „fortgesetzte Weigerung der Landeschefs, das Infektionsschutzgesetzt umzusetzen“ sei für viele Bürger ein Hauptgrund für viele der Toten. Während die renommierten Wissenschaftler und ihre Modellierungen die dritte Welle mit vollen Intensivstationen vorhersagten, weichten die Ministerpräsidenten verabredete Regeln auf oder unterliefen sie und trieben Lockerungen voran. Begründet wurde das mit dem Wunsch der Bevölkerung. Dabei überwog dort Umfragen zufolge der Wunsch nach strengeren Maßnahmen.
In der Lage kam dann am Freitag der Appell, die Bürger sollten zum Gedenken an die Opfer Kerzen anzünden. „Zugespitzt bedeutet das: Hier schreiben die Schuldigen den Opfern vor, wie zu trauern ist“ , sagt Ewald. Zudem hätten die Ministerpräsidenten ihre Wirkung maßlos überschätzt: „Kaum noch jemand in der Bevölkerung nimmt sie ernst.“
Eine Kerze brennt in einem Fenster als Zeichen des gemeinsamen Gedenkens im Rahmen der Aktion „#lichtfenster“ für die Toten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Foto: Kay Nietfeld/dpa/Archivbild
Kerzen wurden zum Teil entfernt
Der Kerzen-Appell der Politiker trifft auf eine Mischung aus Wut und Trauer. Die Aktion mit Kerzen vor den Staatskanzleien und Rathäusern sei nun ein Ventil, diese Emotionen auszudrücken: „Die Opfer stehen symbolisch anklagend vor denen, die es hätten verhindern können“, so Ewald. Sein Engagement sei persönliches Anliegen, so der Krisenberater auf Nachfrage. „Ich habe keinen Auftrag.“
Die ersten Kerzen lagen schon am Samstag zur Mittagszeit vor der Düsseldorfer Staatskanzlei von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und in Hannover, wo Stephan Weil (SPD) an der Spitze der Landesregierung steht.
Sicherheitsdienste entfernten Kerzen
Im Laufe des Tages kamen in diversen Städten weitere Kerzenmahnmale hinzu – und verschwanden zum Teil wieder: Zumindest in Berlin, Düsseldorf und Hannover entfernten Sicherheitsdienste oder auch Gegner der Aktion die Kerzen und Plakate mit anklagendem Text. Ewald kritisierte das: „Wer in dieser Gemengelage solche Mahnmale entfernt, sollte nochmal überlegen.“
Auf Twitter gab es nicht aus allen Landeshauptstädten Belege für die Aktion. Dafür aber auch Bilder von abgelegten Kerzen etwa vor dem Kölner Rathaus, in Bonn vor dem Büro der Kultusministerkonferenz, deren Mitglieder zum Teil wissenschaftliche Erkenntnisse zur Ausbreitung verneint hatten oder aus Städten wie Koblenz in Rheinland-Pfalz oder Hoyerswerda in Sachsen.
Die Aktionen sollten auch im Laufe des Sonntags weitergehen. In Stuttgart ist etwa geplant, am Sonntag um 14 Uhr mindestens 13.000 Kerzen abzulegen. Zudem posteten Nutzer Screenshots von Online-Bestellungen von Kerzen an die Staatskanzleien.
Krisenberater Ewald: „Vielleicht hilft das, dass die Landeschefs ihre Instinkte in Bezug auf die Bevölkerung wieder richtig kalibrieren und wir noch mehr Opfer vermeiden.“ Nach seiner persönlichen Erfahrung sei der Instinkt verloren, weil Politiker zu lange zu wenig persönlichen Kontakt hätten.“ Nur noch Vertraute, Lobbyisten und Partei um sich zu haben: „Das macht was mit dem Bauchgefühl der Menschen, auch der Politiker und ihrer PR-Berater.“
*Für kurze Zeit von T-Online übernommen