„Ganz einfach gesagt: Ich bin der Öko“

27. August 2016

WESER KURIER:  Anton Hofreiter im Interview

Norbert Holst, 27.08.2016

Die Grünen wollen eigenständig in den Bundestagswahlkampf ziehen, aber auch für Gespräche mit der Union offen sein. Das erklärt Anton Hofreiter, im Gespräch mit dem WESER-KURIER.

Herr Hofreiter, Sie touren im Kommunalwahlkampf gerade durch Niedersachsen, besuchen Bauernhöfe und lesen aus Ihrem im Juni erschienenen Buch „Fleischfabrik Deutschland“. Wie kommt das Thema im Agrarland Niedersachsen an?

Anton Hofreiter: Die Lesungen und Veranstaltungen sind sehr gut besucht. Das Interesse  der Menschen an der Agrarwende wächst weiter.

Oft heißt es ja, der Schlüssel für die Agrarwende liege im Einkaufsverhalten der Verbraucher. Tatsächlich?

Das wird oft als eine Ausrede gebraucht. Denn der Verbraucher entscheidet nicht darüber, wie die Milliarden an Subventionen für die Landwirtschaft in Deutschland verteilt werden. Drei, vier Prozent der größten Höfe bekommen 25 Prozent des Steuergeldes. Der Verbraucher setzt auch nicht die gesetzlichen Standards für die Tierhaltung fest. Der Verbraucher hat auch keinen Einfluss auf den Soja-Import. Soja, das  teilweise in Südamerika auf Feldern angebaut worden ist, deren vorherige Besitzer, nämlich indigene Gruppen oder Kleinbauern, vertrieben oder sogar ermordet worden sind. Deutschland muss aufhören, Sojaprodukte von der Agrarmafia zu importieren. Das alles zeigt, dass wir politisch Strukturen verändern und den Verbraucher stärken müssen. Hier ist das Kernproblem: Die Kennzeichnung von Lebensmitteln ist so unklar geregelt, dass man sich als Verbraucher nur zwischen Bioprodukten und irgendwie konventionell hergestellten Produkten entscheiden kann. Dabei gibt es auch im konventionellen Bereich große Unterschiede. Ich habe am Dienstag im Raum Uelzen einen Schweinemäster besucht, der konventionell produziert, aber alles tut, um seine Tiere anständig zu halten.

Das Ei als Vorbild für die Kennzeichnung?

Ja, da hat es gut funktioniert. Für tierische Produkte brauchen wir eine klare, abgestufte Qualitäts- und Regionalkennzeichnung. Es muss für den Verbraucher ersichtlich sein,  ob die Kühe auf der Weide stehen und sich die Schweine suhlen können. Das sollte ein Käufer erkennen können.

Sollte Massentierhaltung verboten werden?

Wir wollen in den nächsten 20 Jahren aus der industriellen Massentierhaltung aussteigen. Dazu braucht es ein ganzes Bündel an Maßnahmen: eine andere Verteilung der Gelder, bessere gesetzliche  Mindeststandards und klare Kennzeichnungen.

Bau- und Umweltministerin Barbara Hendricks will nun das Baurecht ändern, um den Bau großer Ställe nicht mehr zu privilegieren. Ein richtiger Ansatz der Sozialdemokratin?

Inhaltlich ist der Vorschlag absolut richtig. Ich habe aber den Verdacht, dass es ein Wahlkampfmanöver der SPD ist. Wenn man in einem Kabinett etwas durchsetzen will, dann bespricht man das Thema mit anderen zuständigen Kollegen. Das hat Frau Hendricks offensichtlich nicht getan, CSU-Landwirtschaftsminister Christian Schmidt hat sofort widersprochen.

In Ihrem Buch „Fleischfabrik Deutschland“ präsentieren Sie sich als Freund der kleinen Höfe. Nun gelten Landwirte ja eher als eine konservative Klientel.

Ich stelle durchaus eine Veränderung fest. Erstens gibt es immer mehr Biobauern und zweitens ist auch der konventionelle Bereich in Bewegung. Manche Bauern sind mit Teilen unserer Forderungen zwar nicht einverstanden. Aber kürzlich war auf einer Demonstration in Mecklenburg-Vorpommern zu lesen: „Lieber unter den Grünen leiden, als unter den Schwarzen sterben“. Viele Bauern sehen, dass die bisherige Politik für sie in eine ökonomische Sackgasse führt. In vielen Regionen Norddeutschlands wird nur noch 20 Cent pro Liter Milch an die Landwirte ausgezahlt – das deckt häufig kaum die Hälfte der Produktionskosten.

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier hat sich im „Spiegel“ sehr wohlwollend über die Option Schwarz-Grün auf Bundesebene geäußert. Seiner Ansicht nach könnte gerade in der Agrarpolitik eine Annäherung möglich sein.

Im Moment ist es in der Agrarpolitik so, dass die grundlegenden Auseinandersetzungen zwischen den Grünen  und der Union stattfinden, weil  die SPD und die Linken in diesem Themenfeld kaum vorkommen. Deshalb finde ich das eine spannende Aussage von Herrn Bouffier. Aber für uns ist völlig klar, dass wir eigenständig in den Bundestagswahlkampf gehen werden. Im Moment kann man nicht einfach von Schwarz-Grün reden – man muss angesichts der Differenzen zwischen CDU und CSU eher von Schwarz-Schwarz-Grün sprechen. Wenn der CSU-Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt sagt, eine schwarz-grüne Koalition wird es auf keinen Fall geben, dann sollte Herr Bouffier mal mit der sogenannten Schwesterpartei reden.

Können die Grünen es wirklich durchhalten, sich bis zur Wahl alle Optionen offenzuhalten?

Dies ist schon aus staatspolitischer Verantwortung geboten. In diesen schnelllebigen Zeiten ist es richtig zu sagen, dass das Land eine funktionierende Regierung braucht. Entscheidend ist aber, dass wir  glaubwürdig für unsere inhaltlichen Vorstellungen kämpfen. Ökologische Modernisierung, sozialer Zusammenhalt, Willkommenskultur statt Ausgrenzung, fairer Handel statt TTIP und Ceta. Auf Basis dieser Inhalte sind wir mit allen demokratischen Parteien zu Gesprächen bereit.

Würden Sie denn lieber mit Volker Bouffier oder mit der Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht am Koalitionstisch sitzen?

(Hofreiter lacht) Man kann mit beiden reden. Aber am Ende geht es nicht um Sympathien, sondern dass wir gute Politik für die Bürgerinnen und Bürger und unseren Planeten machen.

Sie treten bei der Grünen-Urwahl gegen Cem Özdemir und Robert Habeck an. Ist die Suche nach dem männlichen Kandidaten für das Spitzenduo eine Richtungsentscheidung?

Natürlich stehen wir drei für bestimmte Positionen. Für mich ist der Erhalt unserer ökologischen Lebensgrundlagen entscheidend. Ganz einfach gesagt: Ich bin der Öko. Aber auch das Thema soziale Gerechtigkeit ist eine ganz zentrale Frage für mich. Das hat auch mit meiner Herkunft zu tun. Einer meiner Großväter war Bauarbeiter, der andere Elektriker. Gerechtigkeit heißt für mich nicht nur Chancengerechtigkeit, sondern auch Verteilungsgerechtigkeit.

Und das bedeutet die Wiedereinführung der Vermögensteuer? Erst im Wahlkampf 2013 haben sich die Grünen mit der Forderung nach höheren Steuern eine blutige Nase geholt.

Problematisch an den Vorschlägen von 2013 war, dass auch Teile der Mittelschicht  belastet worden wären. Ich glaube aber nicht, dass damals die Vermögensbesteuerung das Problem war. Mir ist wichtig: Wir müssen unbedingt mehr tun, um diese Gesellschaft zusammenzuhalten – sie hat sich in den vergangenen Monaten und Jahren immer weiter polarisiert. Deshalb halte ich es für richtig, dass die Superreichen ihren Beitrag für die Finanzierung dieser Gesellschaft leisten. Gesellschaftliche Spaltung schadet am Ende auch dem wohlhabendsten Teil der Bevölkerung.

Inwiefern?

Weil sich soziale Spaltung in politischer und gesellschaftlicher Spaltung fortsetzt. Ich glaube, in einer Gesellschaft voller Angst und Hass will niemand leben.

Sie sind von Haus aus Verkehrspolitiker. Auch im niedersächsischen Kommunalwahlkampf sind  umstrittene Verkehrsprojekte ein Thema. Anfang des Monats hat das Bundeskabinett den Bundesverkehrswegeplan 2030 genehmigt. Ist dieser Plan eigentlich zeitgemäß?

Nein, dieser Plan ist überhaupt nicht zeitgemäß. Er bringt nichts für den Klimaschutz, er stärkt nicht den Schienenverkehr, er ignoriert die starken Veränderungen im Mobilitätsbereich durch Technologiesprünge wie Digitalisierung und Elektrifizierung. Und es fehlt  eine verkehrsträgerübergreifende  Betrachtung: Im Bundesverkehrswegeplan wird so getan, als wenn Berufspendler, die im Moment die Straße benutzen, dies für alle Zeiten tun müssten. Auch die Beseitigung von Engpässen im Hinterlandverkehr der Häfen kommt viel zu kurz. Das ist auch für Bremen ein wichtiges Thema, weil diese Engpässe die Wirtschaft beeinträchtigen.

Hier in Norddeutschland scheiden sich die Geister vor allem an der Küstenautobahn A20, die im neuen Verkehrswegeplan als dringlicher Bedarf eingestuft ist. Sind die Planungen Murks?

Die Güter müssen von Norden nach Süden und auch umgekehrt transportiert werden. Die Küstenautobahn verläuft jedoch von Westen nach Osten. Sie führt zur Zerstörung von Natur, zur Landschaftszerschneidung, außerdem geht wertvoller Ackerboden verloren. Wenn man Geld für Unsinniges ausgibt, dann fehlt dieses Geld für wirklich notwendige  Maßnahmen. Eine vernünftige Anbindung der Häfen und die Beseitigung von Engpässen  im Schienennetz wären viel wichtigere Projekte als die Küstenautobahn.

Kommen wir zu den Bremer Grünen: Marieluise Beck, obwohl eine der bekanntesten Politikerinnen Ihrer Partei, wird nach Kritik aus den eigenen Reihen nicht mehr für den nächsten Bundestag kandidieren. Können sich die Grünen den Abgang von Beck überhaupt leisten?

Marieluise Beck hat gerade in der Osteuropapolitik in Zusammenarbeit mit Menschenrechtsgruppen Hervorragendes geleistet, nicht zuletzt in Russland. Sie hat es geschafft, als Expertin weit über interne Kreise hinaus bekannt zu werden. Und  auch unsere sehr guten jüngeren Politiker, ich denke etwa an unseren außenpolitischen Sprecher Omid Nouripour oder unsere sicherheitspolitische Sprecherin Agnieszka Brugger, haben sich in kurzer Zeit eine sehr hohe Reputation erarbeitet. Ich bin mir daher sicher, dass die Menschenrechte in Osteuropa von den Grünen weiterhin gut bearbeitet werden. Aber es ist immer ein Verlust, wenn eine erfahrene Politikerin wie Marieluise Beck aufhört. Mir wird sie fehlen.

Bremen ist seit den ganz frühen Tagen der Grünen eine Hochburg Ihrer Partei. Können Sie für Ihre Arbeit in Berlin etwas aus der Hansestadt mitnehmen?

Was man aus Bremen mitnehmen kann, ist die Erkenntnis, dass sich eine ehrliche und konsequente Arbeit lohnt. Ich denke etwa daran, was Karoline Linnert in den nicht ganz einfachen Verhältnissen der Bremer Finanzen leistet. Sie sagt klar, was geht und was nicht. Am Ende wird diese Politik belohnt.

Das Gespräch führte Norbert Holst.

Anton Hofreiter

ist seit 2013 zusammen mit Katrin Göring-Eckardt Vorsitzender der Grünen-Fraktion im Deutschen Bundestag. Der 46-Jährige ist in München geboren und pflegt auch als Politiker in Berlin die bayerische Mundart. Hofreiters Engagement für Umwelt- und Klimaschutz hat auch mit seinem wissenschaftlichen Werdegang zu tun: Er ist Biologe und hat in Südamerika geforscht.

Hinterlasse einen Kommentar